Im Februar zum Nordkap

Im Februar zum Nordkap Eine Winterreise mit dem Postschiff ans Ende Europas

Wir haben die Strapazen nur überstanden, weil wir genug Schokolade dabei hatten.
(Roald E. Amundsen, norwegischer Polarforscher)

 

Groß sieht sie aus. 22:00 Uhr im Hafen von Bergen, kurz vor dem Auslaufen, „MS Nordkapp“ ist zu lesen am Bug, weiße Großbuchstaben auf rotem Grund, das ganze Schiff in den Farben der Hurtigruten-Linie rot-weiß-schwarz.

Eine Kreuzung aus luxuriösem Passagierschiff, Autofähre, Post- und Frachttransporter, robust und stämmig, praktisch und elegant zugleich. Allein die Geschichte der Hurtigruten macht Lust auf diese Route, einzigartig auf der Welt, lange Zeit Lebensader für Nordnorwegen, heute Linienverkehr und Urlaubsreiseroute in einem.

So universell die Nutzungsmöglichkeit dieser mutigen Schiffe, so vielschichtig die Passagiere, die auf den regelmäßigen fahrplanmäßigen Anlegestops zu- und aussteigen: Einheimische, die ein Stück der Strecke fahren wie mit dem Zug, ein Autohändler, der einen Oldtimer auf dem Autodeck verschifft, ein Bauingenieur auf dem Weg von einer Tunnelbaustelle nach Hause.

Ein Tunnel für Schiffe im übrigen, auch das gibt es in Norwegen. Werdende noch ohne und junge Mütter mit Babys unterwegs zum Kinderkrankenhaus in Bodø, dem einzigen für die ganze Region der Lofoten und Vesterålen. Urlauber aus England, Frankreich, Spanien, Japan – und wir, eine Reisegruppe aus Niederbayern auf Expeditionsreise an das nördliche Ende Europas.

Im Winter. Alles klar.

Schon im Vorfeld der Reise ungläubig aufgerissene Augen: Die Kälte! Die Dunkelheit! Urlaub nördlich des Polarkreises? Warum nur?

Wir haben keine allzu hohen Ansprüche: Polarlicht mit eigenen Augen sehen, einzigartige Natur erleben und ein uns bisher unbekanntes Land kennenlernen. Und wir können behaupten: alle diese Wünsche gehen auf dieser Fahrt in Erfüllung.

Das klassische Klischee der Schiffsreisenden - viel freie Zeit, viele Bücher dafür bereithalten – wird bereits ab dem ersten Ablegen in Bergen nichtig: zu beeindruckend die Ausblicke, zu schön die Landschaft der norwegischen Küste, zu faszinierend die Farben des Himmels. Immer hat man das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn man nicht ständig an Deck oder am Fenster die Aussicht in sich aufsaugt.

Überhaupt: das Licht! Es ist möglicherweise das beeindruckendste Element, weil ständig da, so vertraut und doch so anders. Anfang Februar fühlt sich ein ganzer Tag an als andauernder Sonnenaufgang, der in einen langen Sonnenuntergang übergeht.

Je weiter wir nach Norden kommen, umso beeindruckender ist der Effekt für einen Mitteleuropäer: die zauberhaften Minuten der Morgen- und Abenddämmerung sind hier wie in Zeitlupe gefangen und dauern buchstäblich Stunden.

Dabei ist es nicht wirklich dunkel, auch wenn die Sonne jenseits des Polarkreises zu dieser Zeit kaum über den Horizont kommt – das Auge stellt sich erstaunlich gut auf das milde Zwielicht ein und kann die erstaunlichen Farben nur umso besser wahrnehmen.

Das gilt übrigens auch nachts – der Reisezeitraum ist wohlüberlegt in eine Woche mit Vollmond gelegt, der uns in den meisten Nächten völlig ausreichendes Licht reflektiert, um die raue norwegische Küste deutlich sehen zu können.

 

Aus der Flotte der Hurtigruten-Postschiffe bricht jeden Tag eines von Bergen aus auf, um die so treffend als „nordgehend“ bezeichntete Route zum Nordkap und weiter bis Kirkennes zu befahren, der letzten Stadt in Norwegisch Lappland vor der Grenze zu Russland.

Elf Tage dauert die Fahrt hin und – natürlich „südgehend“ - zurück, und sie führt vorbei an der wohl spektakulärsten Küste, die Europa aufzubieten hat; immer nahe des Landes, oft im Schutz von Fjorden und Inseln, aber auch regelmäßig auf Passagen auf den Nordatlantik und das Polarmeer hinaus.

Dabei ist es im Durchschnitt nicht wirklich gefühlt kälter als in einem strengen Süddeutschen Winter; der Einfluss des Golfstroms hält die gesamte Küste bis Murmansk den ganzen Winter über eisfrei.

Ganz anders das Gefühl, erkundet man nördlich des Polarkreises das Land hinter der Küste: hier lässt die Wirkung der Zentralheizung Golfstrom sofort nach, und jeder versteht plötzlich die Angabe „gefühlte Temperatur weit niedriger als die tatsächliche Lufttemperatur“.

Auf dem Weg nach Norden sieht man so viel für mitteleuropäische Augen unglaubliches: Wale, Seeadler, Robben. Wetter, das sich innerhalb von Minuten verändert. Gemälde aus Wolken und dem Licht tiefstehender Sonne. Den Polarkreis überqueren, unmerklich, keine Linie im Meer, und doch ist plötzlich alles anders.

 

Und dann sind sie da. Nordlichter. Ganz zart zunächst, grüner Schimmer, bis der Sonnenwind in der Atmosphäre so richtig aufdreht, ganz großes Kino. Unbeschreiblich, mystisch, verzaubernd.

 

Kein Foto oder Video kann wiedergeben, wie es sich anfühlt, wenn das Erdmagnetfeld plötzlich sichtbar ist, in Bewegung, tanzend wie ein kosmisches grünes Laken, das von Horizont zu Horizont über uns ausgeschüttelt wird.

Und immer weiter nach Norden, zu Rentieren und Elchen, Schneemobilen und Hundeschlitten, 80 Sorten Bier in der Wirtschaft der nördlichsten Brauerei der Welt. Weiter bis zum Nordkap, von hier ist es nur noch ein Katzensprung zum Nordpol, glauben wir.

Und noch weiter an die Grenze, Russland, das Ende von Europa.

Schwimmen in der Barentssee bei 2° Wassertemperatur, Seegang 5 und gleich darauf wieder spiegelglatte Fjorde, Lachen in der Schiffsbar bis tief in die Nacht, immer wieder gerufen vom Whatsapp-Alarm der wackeren draußengebliebenen Polarlichtjäger.

raumhafte Städte, liebenswert entspannte Einheimische, eine Schiffsbesatzung, die wie eine Familie erscheint. Köstliches aus der Kombüse, Hotelkomfort auf einer Polarexpedition, perfekte Organisation der Reise inclusive Insiderinformationen aus erster Hand von der Inhaberin des Reisebüros, eine Reisegruppe, deren Mitglieder in diesen elf Tagen zu Vertrauten und zu Freunden werden.

Diese Reise ist nicht irgendeine Schifffahrt. Diese Reise verändert die Menschen, die sie unternehmen, sie sind hinterher nicht mehr dieselben. Spätestens die Daheimgebliebenen werden das bemerken, am Glanz in den Augen der Heimkehrer.

 

- Schwarz Ulrich

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